Hansonis

Wer hätte das gedacht: Hansonis eröffnet seine neue Platte mit einer dringlichen Ballade! Mit dem Rocken muss es ja eh weiter gehen – zuvor fegt der Mann aber erst mal seine sieben Sachen zusammen und hält Einkehr: „And I feel like someone else / But I don´t think I am lost / Just got a long way to go tonight“.

Einen langen Weg geht Hansonis in der Tat schon. Für die Spätgeborenen: KING CANDY und LES IMMER ESSEN hießen die Kölner Rockbands mit denen Michael Hansonis schon Mitte der 1980er-Jahre deutsche Underground-Rock-Geschichte schrieb. Alternative und Indie waren zu der Zeit im Pop-Sprech als Schlagworte ja noch nicht so verankert.

Um das historisch mal in einen vagen Kontext zu bringen: 1988, im Gründungsjahr von KING CANDY, starteten auch Element Of Crime und Philipp Boa & The Voodoo Club ihre Karrieren. 2006 sind die einen Feuilleton-Lieblinge, die anderen eine Indie-Legende. Und Hansonis? Der bringt mit „Walk“ sein zweites Solo-Album raus. Einfach so. Zweieinhalb Jahre nach dem Solo-Debüt „Drink and Drive with Dylan Thomas“, auf dem er Texte des walisischen Schriftstellers zu eigenen Songs machte und das Wellen bis hinein in den Literaturbetrieb schlug.

Die zehn Jahre davor war Hansonis nach der Auflösung von KING CANDY vor allem als Schauspieler in Erscheinung getreten, u.a. als festes Ensemblemitglied am Kölner Horizont Theater. Einmal Musiker, immer Musiker – deshalb war eigentlich jederzeit klar, dass auch die musikalische Laufbahn von Hansonis weitergehen würde. Nicht mit 180 km/h auf der Autobahn, sondern auf einem schroffen Feldweg, gesäumt von ehrwürdigen alten Bäumen und frischem Gras. Ein Weg, auf dem die Steine unter den Sohlen knirschen, auf dem man sich auch mal schmutzig macht. Klar auch, dass es nur solche Wege sind, die dann schließlich zu so beachtlichen Platten führen wie „Walk“. Platten, die eine ganz eigene Version von Rock anbieten, weil ihre Schöpfer selbst unkopierbare Originale sind.

Nichts gegen all die jungen, angesagten Retro-Rockbands, die momentan die Mottenkiste der Rockgeschichte plündern. Bei ihnen funktionieren die Melodien, Riffs und Textzeilen in erster Linie als coole Zitate, als Gimmicks. Bei Hansonis hat man dagegen den Eindruck, dass er seine Lieder auch lebt, dass er seinen Sound nicht nach Lust und Laune aus der breiten Palette der Möglichkeiten auswählt, sondern eigentlich gar nicht anders kann, als so zu spielen, wie er spielt.

Natürlich kann man auch auf „Walk“ Einflüsse heraushören: den Glam von T.Rex, die Lakonie von Lou Reed, den Drive der Go-Betweens. Im Falle der Go-Betweens beruht der Einfluss sogar auf Gegenseitigkeit. Nicht umsonst hat Robert Foster auf seinem Solo-Album „I had a New York Girlfriend“ einen Song von KING CANDY („Bird“) gecovert.

Hansonis hat seine Einflüsse derart verinnerlicht, dass sie ein Teil von ihm geworden sind und er es vermag, ein ganz eigenes Ding draus zu drehen: Gemeinsam mit Schlagzeugerin Saskia von Klitzing und Bassist Hans Bäär spielt er einen treibenden Powerpop, luftig und erdig zugleich, der seine Leichtigkeit aus den rollenden Tom-Tom-Grooves und den hymnisch nach vorne geschrammelten Gitarrenakkorden zieht, und seine Tiefe aus den knörzig vorgetragenen, melancholischen Textzeilen. „You feel alone and you dream alone“, singt Hansonis da beispielsweise in dem anrührenden Song „Strange Believers“, den der Autor folgendermaßen kommentiert: „Noch ein Song über Liebesbeziehungen, die an Absolutheitsansprüchen scheitern“.

Und selbst wenn Hansonis sich an einen der Klassiker des französischen Chanson, „La Mer“ von Charles Trenet, wagt, so gelingt es ihm, diesem Evergreen unerhörte Facetten abzuringen und einen ganz eigenen Stempel aufzudrücken. Trenet hat er durch die Filme von François Truffaut entdeckt. Oftmals sind es Motive aus Filmen, die er in seinen Songs verarbeitet. „Partygirl In The Underworld“ ist zum Beispiel eine laszive Hommage an den Nicolas Ray Film „Party Girl“ aus dem Jahre 1958: „Once she was a model, now she is dancing in a club“. Und wenn es mal nicht um Filme geht, dann hat es ja vielleicht mit Literatur zu tun. Das biestige Instrumental „Third Electric“ hat Hansonis jedenfalls dem Marquis de Sade höchstpersönlich gewidmet.

„Survivor, you know what you want“, singt Hansonis in „She Knows Your Name # 2“, einem der ansteckendsten Songs auf „Walk“. So aus dem Kontext gerissen, liefert die Zeile eigentlich das schönste Fazit, das sich unter diese Platte stellen lässt.